Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann

Die beiden Komponisten, von deren Musik der heutige Abend geprägt ist, standen in einer engen beruflichen, aber vor allem in einer vertrauensvollen Verbindung zueinander. Dies zu erwähnen ist auch heutzutage noch geboten, wurden die beiden doch lange Zeit als Konkurrenten betrachtet, und als es um die Besetzung des Thomaskantorates 1723 ging, als erbitterte Gegner beschrieben, deren Mentalität und deren Art, ihren Beruf auszuüben keinerlei Berührungspunkte hatten. Ersterem möchte ich nicht widersprechen. Auch hat die Musikwissenschaft bis weit ins 20. Jahrhundert nichts unterlassen, um die qualitativen Abstände zwischen den beiden zu unterstreichen; ohne herauszustellen, dass da Unvergleichliches verglichen wurde. Und tatsächlich hätten schon die biographischen Besonderheiten nicht unterschiedlicher sein können:

 

Der Ältere, Georg Philipp Telemann (1681-1767), darf weitgehend als genialer kompositorischer Autodidakt angesehen werden. Als Leipziger Jurastudent (1701-1705) als hochmusikalische Begabung entdeckt, formte er das universitäre Collegium musicum zu einem Klangkörper, das den neuen Geist eines nach Liberalität strebenden Bürgertums in Leipzig aufnahm. Seine Musik atmet von Beginn Transparenz, Bescheidenheit aber höchste Effektivität im Einsatz musikalischer Mittel. Positive und weltbejahende Gestimmtheit machten ihn zu einem begehrten Lieferant neuartiger Werke, die jedwedes Artifizielle hinter sich lassen. Auch die Zeitgenossen haben den klaffenden Unterschied in der Kompositionsweise gesehen. „So schreibt Johan Adolph Scheibe (1708-1776), ein aus Leipzig stammender und mit Bach bekannter Musiker, in seinem „Sendschreiben an Herrn Capellmeister Mattheson“ (Hamburg 1738): „Bachische Kirchen-Stücke sind allemahl künstlicher und mühsamer; keineswegs aber von solchem Nachdrucke, Überzeugung, und von solchem vernünfftigem Nach-denken, als die Telemannschen und Graunischen Werke.“ Offensichtlich fand zu Bachs Lebzeiten ein Umbruch im Bereiche des musikalischen Geschmacks statt, wobei, nach Scheibe – Komponisten wie Georg Philipp Telemann und Carl Heinrich Graun diesen Umbruch weit eher mitvollzogen als Bach.“ (Martin Christian Mautner, Mach einmal mein Ende gut – Zur Sterbekunst in den Kantaten Johann Sebastian Bachs zum 16. Sonntag nach Trinitatis, Frankfurt 1997, S. 28f.)

 

Der Magistrat beauftragte ihn mit den regelmäßigen Kantatenkompositionen Die Leipziger Obrigkeit zog seine Art zu komponieren ganz unverhohlen der des offiziellen Amtsinhabers der Städtischen Musiken Johann Kuhnau (1660-1722) vor. Kuhnau wurde auf diese Weise über Jahre konsequent ausgebootet. Telemann hingegen schuf mit einer neuartigen Leichtigkeit und in der Anzahl unübersehbar viele Werke. Summarisch schrieb mehr als Händel und Bach zusammen und sollte die Musik seinen Auftraggebern schenken, zuletzt als musikalischer Direktor der Hamburgischen Hauptkirchen und als Impressario der dortigen Oper am Gänsemarkt. Wie man heute weiß, bewarb er sich leidglich zum Schein auf das 1722 nach dem Tode Johann Kuhnaus freigewordene Thomaskantorat. Johann Sebastian rangierte bekanntlich auf einem hinteren Platz in der Bewerberliste und wurde auch nur wegen der Absage der drei Erstplatzierten nolens volens in Amt geholt. Das sollte sich bitterlich rächen; waren doch die siebenundzwanzig Bachschen Amtsjahre in Leipzig von Beginn an von Schwierigkeiten und Reibungsverlusten aller Art geprägt, was auch noch an der Art nächsten Ausschreibung nach Bach zu ersehen ist: „Wir brauchen einen Cantor, keinen Capellmeister!“ (Leipziger Bürgermeister Stieglitz, 1749)

 

Telemann war Pate zu Bachs zweitem Sohn Carl Philipp Emanuel, der am 2. April 1768 nach dem Ablebens Telemann, sein Hamburgischer Nachfolger wurde und der den Bach in einer ganz anderen Weise im Reich der Musik erstrahlen lässt. Wenn später Mozart vom „großen Bach“ spricht, meinte er Carl Philipp Emanuel. Der „alte Bach“ war in Vergessenheit geraten.