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Rektor der Kirchenmusikhochschule Westfalen-Lippe, Herford
Samuel Scheidt (1587–1654) Hymnus. De Adventu Domini.
Veni redemptor gentium – Nun komm, der Heiden Heiland
(Tabulatura nova, 1624) SSWV 149
Nicolaus Bruhns (1665–1697) Präludium in e
Johann Adam Reincken (1623–1722) An Wasserflüssen Babylon
Das mit 327 Takten für barocke Verhältnisse in Norddeutschland opulenteste Orgelwerk seiner Zeit ist in Organistenkreisen legendenumwoben. War es doch dieser Choral, über den Johann Sebastian Bach, zu Besuch in Hamburg, nach dem Vortrag Reinckens vor dessen Ohren diesen, über eben jenes Lied improvisierend, in anerkennendes Staunen versetze.
Die einzige überlieferte barocke Abschrift von Reinckens gleichnamiger Choralfantasie, angefertigt von Bachs Schwiegersohn Johann Christoph Altnikol (1720–1759), zeugt davon, wie hoch dieser Choral und das Fantasieren darüber von Bach selbst und seinem Umfeld geschätzt wurde. Die Handschrift war seit 1945 verschollen und wurde erst nach ihrer Rückführung aus Russland nach Berlin wieder zugänglich. Die Interpretation des heutigen Abends bezieht sich unmittelbar auf diese Abschrift.
Die Nachdichtung von Psalm 137, welche um die Exilsituation Israels in Babylon kreist, war einer der reformatorischen Kerntexte. Reincken nimmt das zentrale Thema, das Träumen von der Heimat Jerusalem, in der Nähe des lebendigen Gottes zu sein, in seinem Stück auf: Die Lebensfreude und Lust des Mittelteils ringt mir stets Bewunderung ab. Das Träumen ist so mächtig, als sei alles Belastende für den Moment vergessen und das freie Leben gegenwärtig, bevor wieder eine vorübergehende Verschattung eintritt. Auch im Exil, in der Ferne, ist der Gott Israels nicht fern.
Johann Sebastian Bach (1685–1750) An Wasserflüssen Babylon
a 5 parti con 2 tasiere e pedale doppio BWV 653 b (fünfstimmige „Urfassung“, Weimar)
Dietrich Buxtehude (1637–1707) Präludium in e BuxWV 149
Zwei Werke fußen hier heute auf dem Ton „e“. Und wie eng Lehrer und Schüler, Dietrich Buxtehude und Nicolaus Bruhns, im Wirken miteinander verbunden waren, sei
anhand dieser ihrer beiden unverwechselbaren, vom extrovertierten Gestus bis zur bizarren Wirkung gekennzeichneten Stücke aufgezeigt. Beide sind große Meister des Stylus phantasticus
norddeutscher Prägung. Was das mit Blick auf den Grundton „e“ der Werke bedeutet, spricht das von Johann Kaspar Ulich auf Dietrich Buxtehude verfasste Trauergedicht aus, das vormals bis zur
Zerstörung im Zweiten Weltkrieg auf einer Gedenkplatte in St. Marien in Lübeck angebracht war:
E war Dein erster Thon, daraus Du intoniret,
Du hauchst nach Musick Brauch im E auch wieder aus,
Von Erden warestu, zur Erden man dich führet,
Pausirest, biß zerfällt diß schwartze Noten-Hauß.
Wird das grosse Tutti kommen,
Und das Ewg‘ Alleluja,
Wirstu mit viel tausend Frommen
Steigen aus dem E ins H.
Johann Sebastian Bach An Wasserflüssen Babylon
à 2 claviers et pédale BWV 653 (vierstimmige Umarbeitung, jüngere Leipziger Fassung)
Ungefähr vierzig Schaffensjahre liegen zwischen den beiden Choralbearbeitungen über An Wasserflüssen Babylon (BWB 653b und 653) aus der Feder Johann Sebastian Bachs. Auch wenn die Entwicklungen unverkennbar sind, die der Komponist hinsichtlich der
stilistischen Homogenität genommen, bleibt großes Staunen darüber, wie ungebrochen und unverkennbar das Bachsche Klangbild war und ist: 1710, 1748 und heute.
Johann Sebastian Bach Passacaglia in c BWV 582
Wege müssen beschritten werden. Der Weg zu Johann Sebastian Bach führt ausschließlich über die Meister um ihn und vor allem über die, die vor ihm waren. Wie kaum ein anderer Komponist der
Musikgeschichte war Johann Sebastian Bach ein Kenner und Sammler der aufgeschriebenen Musik, die bis in seine eigene Gegenwart reichte. Nicht nur seine theologische Fachbibliothek, auch sein
Archiv der Musikmanuskripte und -drucke war immens und legendär. Manche Komponisten sind nur deshalb für die Nachwelt erhalten geblieben, weil Bach deren Werke abgeschrieben und gesammelt hat.
Einer von ihnen ist der Buxtehude-Schüler und Husumer Kantor Nicolaus Bruhns, ein höchst exzentrischer und hörenswerter Komponist. Hätte Bach seine Qualitäten nicht hoch geachtet, wir würden ihn
heute gar nicht kennen.
Es ist dieser für Bach charakteristische und bis zum Ende nicht versiegender Wissensdurst und Kenntnisreichtum, welcher die Grundlage für Bachs eigene musikalische und kompositorische
Vervollkommnung war. Zahlreiche Anekdoten ranken sich um diesen Zusammenhang. Der Sohn Carl Philipp Emanuel schreibt im Nekrolog: „Sein von Natur etwas blödes Gesicht, welches durch seinen
unerhörten Eifer in seinem Studiren, wobey er, sonderlich in seiner Jugend, ganze Nächte hindurch saß, noch mehr geschwächet worden, …“ Sicherlich wusste J. S. Bach sehr wohl, zu was er selbst
fähig war. Aber es hatte eben gar nichts mit einer Selbststilisierung zu tun. Sein Vermögen war ihm augenscheinlich eine Selbstverständlichkeit! Der berühmte Ausspruch – „Ich habe fleißig seyn
müssen; wer eben so fleißig ist, der wird es eben so weitbringen können.“ – legt davon beredtes Zeugnis ab. Der Schirmherr dieser Bach-Tage 2020, Prof. Dr. Helmut Fleinghaus schreibt
diesbezüglich prägnant und einprägsam: „Was Bach nicht kann, kann keiner!“
Zur Ikone haben ihn erst die romantisch und national bewegten Enthusiasten des 19. Jahrhunderts gemacht und ihn auf eines ihrer eigenen Denkmäler gestellt. Bachs Zeitgenossen hatten ihn
ästhetisch rasch verdrängt.
Alles mündet in ihm. Alle verdanken ihm alles.
Allerdings steht fest, dass er ein Fixstern am Himmel der europäischen Musikgeschichte war und ist. Zu ihm, kann man mit Fug und Recht sagen, führt alles hin! Alle Wege führen zu Johann Sebastian
Bach. Und entgegen der Legende vom Vergessen seines Werkes schon zu Lebzeiten sei bemerkt, dass Wolfgang Amadé Mozart und Ludwig van Beethoven mit der Kunst Bachs intensiv in Berührung gekommen
sind und diese für deren Schaffen wegweisend war. Der eine wurde seiner Werke in der Leipziger Thomasschule ansichtig, für den anderen war das „Wohltemperierte Klavier“, vermittelt durch Carl
Philipp Emanuel und Johann Gottlieb Neefe (in Bonn), die Klavierschule schlechthin und Quelle seines eigenen unverwechselbaren Komponierstils, insbesondere auf dem Klavier (32 Sonaten).
Das „Nadelöhr“ Johann Sebastian Bach soll in diesem Konzert einmal mehr von der hinführenden Seiten beleuchtet werden. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts emanzipierte sich die Instrumentalmusik
von den vokalen Gattungen. Sie begann, sich stilistisch unabhängig zu machen. In Deutschland war Samuel Scheidt mit seiner mehrteiligen Tabulatura Nova (1624) hierfür bahnbrechend. Seine Musik
wirkt nach vierhundert Jahren immer noch frisch, modern und fordernd. Vitalität und Spannkraft lassen das Herkommen des Werkes aus den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges ganz vergessen. Zusammen
mit den Niederländern um den Organistenmacher Jan Pieterszoon Sweelinck (1562–1621) und den revolutionären musikalischen Neuerungen in Italien nach 1600, aber auch infolge des Wirkens von
Heinrich Schütz (1585–1672) formierte sich in Nord- und Mitteldeutschland ein unverwechselbarer musikalischer Stil, insbesondere auch für die Orgel. Der sogenannte Stylus phantasticus verkörperte
in dieser Zeit ein ganz auf der sprachlichen Rhetorik und den an sie gebundenen Affekten fußendes musikalisches Gefüge; so intensiv und schlüssig, dass hier ohne Worte gesprochen, erläutert und
gepredigt (!) wurde. Gerade Dietrich Buxtehude an St. Marien in Lübeck und Johann Adam Reincken an St. Katharinen in Hamburg waren da stilbildend. Sie wähnten sich wohl als die letzten in ihrer
Kunst bis… ja, bis Bach sie auf seinen beiden „Lernreisen“ (Hamburg 1701, Lübeck 1705) aufsuchte und zeigte, dass sie weiterhin in Ehren gehalten werden sollte.
Das Bekenntnis des ‚An Wasserflüssen Babylon‘
Es bleibt die Frage, inwieweit Johann Sebastian Bach diese Entwicklung dann weiter entwickelte oder ob er diesen Faden als ein beharrliches gegen den Geist der Zeit stehendes
theologisch-ästhetisches Bekenntnis aufgefasst haben mag. Er war von der Kunst Reinckens, gerade von dessen Fantasie über An Wasserflüssen Babylon tief ergriffen und tat es dem Verehrten vor Ort
nach. Im Jahre 2005 wurde in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek eine handschriftliche Tabulatur von Bachs Hand über Reinckens An Wasserflüssen Babylon aufgefunden. Bach selbst legt Reincken die
Worte in den Mund: „Ich dachte, diese Kunst wäre gestorben; ich sehe aber, daß sie in Ihnen noch lebet.“ Noch (oder gerade) in Bachs den achtzehn späten, sogenannten „Leipziger Chorälen“ (ca.
1748) haben die diversen Vertonungen zu diesem Liede eine zentrale Bedeutung.
Überhaupt hat das „Choralmachen“ Bach lebenslang beschäftigt.
Die Passacaglia in c BWV 582 ist für mich auch ein handwerkliches Konglomerat aller erdenklichen Choralbearbeitungstechniken, die Bach schon bis dahin (1706/1713) in seiner frühen Zeit
perfektioniert hatte. Denn große Passacaglia und das Torso des Orgelbüchleins korrespondieren auf das Innigste. Die Kontrapunkte und Choralbehandlungen sind zum Teil identisch. Darüber hinaus
sind Choralzitate deutlich zu identifizieren.
Es mögen sich womöglich um die für Bach selbst wichtigen und für ihn unaufgebbaren Kernlieder gehandelt haben, deren Fortbestand er im Gemeindegesang seiner Gegenwart gefährdet sah, zeigte sich
in der Zeit nach 1700 doch insgesamt ein tiefer Wandel auch der gottesdienstlichen Singkultur:
Takt 8–12 (Sopran): Nun komm, der Heiden Heiland
Takt 24–48: Von Gott will ich nicht lassen
Takt 49–72: Vom Himmel hoch kam der Engel Schar
Takt 72–96: Assoziierung des „Sternmotivs“ aus Herr Christ, der ein’ge Gottessohn
Takt 96–120: Christ lag in Todesbanden
Takt 144–168: Erstanden ist der heil’ge Christ
Bach sollte mit seiner befürchtenden Ahnung Recht behalten. Eine Generation später notiert der Musikologe Johann Adolf Scheibe (1708–1776): „Die meisten Gottesgelehrten sind insgemein blos damit
vergnügt, daß die Gemeine in der Kirche einen Psalm oder ein Lied unter der Begleitung einer oft allzuschwachen Orgel, die unter der Direction eines Organisten stehet, der oft nicht einmal
spielen kann, absinget, ohne darauf zu sehen, wie dem oft ganz widersinnigen Geschrey, woraus insgemein am wenigsten zu erkennen ist, was für ein Gesang gesungen wird, ein Zügel anzulegen sey, um
es doch wenigstens etwas vernünftiger und ordentlicher zu machen. Wie sollten sie also an etwas der Musik vortheilhafters denken? Kurz, unsere deutschen Gelehrten fast insgesamt, nur wenige
ausgenommen, wissen wenig oder nichts von der Musik; sie bekümmern sich auch nicht um sie; sie können also auch nichts zu ihrem Vortheil schreiben, oder ausrichten …“
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Ein Herz, das seinen Jesum lebend weiß BWV 134
Veronika Madler, Sopran
Heike Bader, Alt
Leonhard Reso, Tenor
Maximilian Schmitt, Bariton
Mitglieder des Bergischen Kammerorchesters
Leitung und Orgel: Matthias Lotzmann
MICHAEL PRAETORIUS
Hymnus. Vita sanctorum decos Angelorum – De Resurrectione Christi
JOHANN SEBASTIAN BACH
Herr Jesu Christ, dich zu uns wend BWV 655
Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr‘ BWV 725
Toccata in d („dorische“) BWV 538
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JOHANN SEBASTIAN BACH Praeludium und Fuge C-Dur BWV 846 (WK I)
CHARLES-FRANÇOIS GOUNOD Méditation sur le premier prélude de piano [BWV 846a] de S. Bach
IGNAZ ISAAK MOSCHELES Bachs Praeludium C-Dur BWV 846a
„mit einer hinzukomponierten oblig. Violoncell-Stimme“ op. 137 q Nr. 1
JOHANN SEBASTIAN BACH Praeludium und Fuge h-Moll BWV 869 (WK I)
IGNAZ ISAAK MOSCHELES Bachs Praeludium h-Moll BWV 869a
„mit einer hinzukomponierten oblig. Violoncell-Stimme“ op. 137 q Nr. 6
JOHANN SEBASTIAN BACH Suite für Violoncello solo Nr. 3 C-Dur BWV 1009
Leon Capar Violoncello
Joachim Dorfmüller am Blüthner-Flügel
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Geistliche Lieder aus dem „Musicalischen Gesangbuch“ von Georg Christian Schemelli (1736)
komponiert von Johann Sebastian Bach
dazu Werke von Heinrich Schütz, Georg Böhm und Johann Ludwig Krebs
Von der Liebe und Freundlichkeit Gottes
JOHANN SEBASTIAN BACH (1685–1750)
Jesus ist das schönste Licht BWV 474
Liebes Herz, bedenke doch BWV 482
Seelenbräutigam BWV 496
Vergiß mein nicht, dass ich dein BWV 504
Von Geduld und Gelassenheit
Gib dich zufrieden BWV 460
Ich halte treulich still|BWV 466
HEINRICH SCHÜTZ (1585–1672)
Zwei Kleine Geistliche Konzerte
Vom Namen Jesu
O du allerbarmherzigster Jesu
Von der Liebe und Verlangen nach Jesu
JOHANN SEBASTIAN BACH
Beschränkt, ihr Weisen BWV 443
Jesu, meines Herzens Freud BWV 473
Hierin:
GEORG BÖHM (1661–1733)
Aria und Variationen: Jesu, du bist allzu schöne
JOHANN SEBASTIAN BACH
Nur mein Jesu ist mein Leben BWV 490
Seelenweide, meine Freude BWV 497
JOHANN LUDWIG KREBS (1713–1780)
Bist du noch fern, gewünschte stille Stunde?
GEORG BÖHM
Partita: Auf meinen lieben Gott
HEINRICH SCHÜTZ
Bringt her dem Herren SWV 283
Ich will den Herren loben allezeit SWV 306
JOHANN SEBASTIAN BACH
Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen BWV 517
O Ewigkeit, du Donnerwort BWV 513
Die Sopranistin Dorothea Brandt hat im Jahr 2006 ihr Studium bei Prof. Yaron Windmüller an der HfM Saarbrücken abgeschlossen. Während ihres
Studiums nahm sie an Kursen teil bei Irwin Gage, Mira Zakai, Axel Bauni, Michael Wendeberg, sowie Ichiro Nakayama, Elaine Kidd und Karolin Gruber und sammelte bereits professionelle Erfahrungen
auf der Opernbühne, in Liederabenden und Oratorien.
Sie ist Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes und des Richard-Wagner-Verbandes. Sie erhielt einen Förderpreis des ZONTA-Club Saarbrücken und gewann 2005 den 1. Preis beim
Walter-Gieseking-Wettbewerb. Im Jahr 2006 war sie Finalistin im Wettbewerb „Schubert und Moderne“ in Graz.
Zur Spielzeit 2006/2007 wurde sie als Anfängerin an den Wuppertaler Bühnen engagiert. Dort sang sie schon bald zahlreiche lyrische Partien, wie unter anderem Pamina, Norina oder Gretel.
Ihre besondere Liebe gilt dem Belcanto und der Neuen Musik. Neben der Operntätigkeit gibt sie zahlreiche Konzerte und Liederabende, z.B. im Rahmen der Biennale Venedig, in der Historischen
Stadthalle Wuppertal, Sylt, München, Basel oder Nürnberg. Sie arbeitete unter anderem mit Dirigenten wie Howard Arman, Jörg-Peter Weigle, Tonu Kaljuste, Erwin Ortner, Michel Plasson und
Regisseuren wie Andrea Schwalbach, Aurelia Eggers, Georg Köhl, Jakob Peters-Messer, Georges Delnon. Im Jahr 2012 wurde sie von der Fachzeitschrift Opernwelt als Nachwuchssängerin nominiert.
Seit der Spielzeit 2014/15 arbeitet Sie freiberuflich als Sängerin und Gesangspädagogin, sowie als Singleiterin bei der Singpause. Im Jahr 2019 übernahm sie die Stimmbildung, sowie die Leitung
der Kolibris bei der Mädchenkurrende Wuppertal.
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Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Contrapunctus XVIII („ultimus“) aus „Die Kunst der Fuge“ BWV 1080
in der Übertragung und Vollendung durch Helmut Walcha (1907–1991)
Gespielt zunächst unvollendet, danach vom B-A-C-H-Thema an (T. 239 ff.) mit der Vollendung
Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788) Fuge manualiter über B-A-C-H
Johann Christoph Friedrich Bach (1732–1795) Fughette manualiter über B-A-C-H
Johann Christian Bach (1735–1782) Fuga über die Buchstaben seines Namens BACH
Ludvig Matthias Lindeman (1812–1887)
Tre fuger a 4 over navnet BACH / Drei Fugen über den Namen Bach
Signum I – Fuga I over B-A-C-H
Signum II – Fuga II over H-C-A-B
Signum III – Fuga III over B-A-C-H
Kjell Mørk Karlsen (*1947) (Uraufführung)
Introduksjon og Passacaglia over B-A-C-H (Arbeitstitel) – URAUFFÜHRUNG
Für Prof. Dr. Joachim Dorfmüller und Bach-Tage Wuppertal 2020
Robert Schumann (1810–1856) Fuge g-Moll über B-A-C-H op. 60, 3 (1846)
Letzte Seite des Autographen mit der unvollendeten Fuge und der Anmerkung des Sohnes Carl Philipp Emanuel Bach: „N.B. Über dieser Fuge, wo Der Nahme B A C H im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfaßer gestorben.“
Kompositionen über die Tonfolge B-A-C-H - wie viele mag es wohl geben? Bei dieser Frage fällt mir ein, dass mich 1984 der Wissenschaftlicher Leiter der Internationalen Bach-Akademie Stuttgart, Prof. Dr. Ulrich Prinz, um Mitarbeit an einem Verzeichnis bat, das er und sein damaliger Assistent Dr. Konrad Küster zu erstellen im Begriff waren. Wie kam er gerade auf mich? Nun, er hatte meine Habilitationsschrift gelesen, in der 36 allein zwischen 1960 und 1983 komponierte, zum großen Teil noch nicht gedruckte Werke für Orgel von der Sonate bis zur Musik für Orgel und Bläser verzeichnet sind. Mit einigen mehr, die ich Ulrich Prinz schließlich mitteilen konnte, kamen wir auf nicht weniger als 410 Einzel- wie auch zyklische Kompositionen, die für unterschiedlichste Besetzungen geschrieben wurden. Wie viele mögen inzwischen hinzugekommen sein?
Der Abend beginnt – natürlich, möchte man sagen – mit dem großen Meister höchstselbst. Wir hören als Auftakt eines großen musikgeschichtlichen Bogens über drei Jahrhunderte hinweg JOHANN SEBASTIAN BACHS unvollendetes Finale seiner "Kunst der Fuge". Gespielt wird dieser "contrapunctus ultimus" zunächst bis zum abrupten, vor seinem Tod dem Schwiegersohn Johann Christoph Altnikol noch diktiertem Ende der dritten Durchführung in Takt 239, wo – wie Sohn Carl Philipp Emanuel notiert – „Der Nahme B A C H im Contrasubject [Anm.: im Gegenthema] angebracht worden“ ist. Um diesen Namen ein zweites Mal bewusst zu machen, wiederhole ich die erwähnte, von Bach noch begonnene dritte Durchführung, also die letzten 45 Takte des Fragments, und schließe ohne Pause jene kontrapunktisch-harmonisch meisterhaft angelegten 71 Takte an, die HELMUT WALCHA, einer der bedeutendsten Bach-Interpreten, im Geiste und im Sinne Bachs geschrieben hat.
Es folgen Fugen dreier BACH-SÖHNE. Zunächst eine dreistimmige, relativ frei gestaltete Fuge des zweitältesten Sohnes CARL PHILIPP EMANUELs, des Berliner respektive Hamburger Bach, sodann eine vierstimmige Mini-Fuge alias Fughette des in Bückeburger Hofdienste getretenen Sohnes HANS CHRISTOPH FRIEDRICH über die Tonfolge H[ans]-C-F-B[ückeburger]-B-A-C-H. Vierstimmig und bewusst mit Pedal geschrieben schließlich eine zweiteilig-großformatige Fuge des jüngsten, auch Mailänder und später Londoner Bach genannten Sohnes JOHANN CHRISTIAN, deren achttaktige Exposition noch barock anmutet – eindeutig winkt über insgesamt 130 Takte hinweg die frühe Wiener Klassik.
Zwei Bach-Reverenzen norwegischer Komponisten sind durchaus meiner Vorliebe für die Musik des hohen Nordens geschuldet. Mit der Chiffre B-A-C-H dürfte sich als erster Norweger LUDVIG MATHIAS LINDEMAN, Organist der Vår Frelsers Kirke (Erlöserkirche) in Kristiania (heute Oslo), befasst haben, ist sein gesamtes Schaffen für die Orgel doch von barocker Kontrapunktik gekennzeichnet, wie sie ihm sein Vater Ole, ein Urenkelschüler Bachs, vermittelt hatte. Vorangestellt ist seiner vierstimmigen Fuge ist als „Signum“ eine aus der Chiffre unmittelbar abgeleitete Modulation von B-Dur über A-Dur und C-Dur nach H-Dur (!), die in ihrer chromatischen Konzentration durchaus in die Zukunft weisen mag.
Kjell Mørk Karlsen
Danach der Sprung in die Gegenwart mit der heute Abend uraufgeführten Doppelkomposition „Introduktion und Passacaglia über B.A.C.H.“ op. 202 meines norwegischen Freundes KJELL MØRK KARLSEN. Der Sohn des Osloer Domorganisten Rolf Karlsen, der selbst als Domorganist in Stavanger und in Tønsberg tätig war, gilt längst als einer der bedeutendsten und bei weitem nicht nur kirchenmusikalisch ausgewiesenen renommierten Komponisten Skandinaviens. Stilistisch einer gemäßigten Moderne verpflichtet, sind ihm weder Volks- noch Zwölfton fremd, wie auch seine jüngste Komposition als Reverenz vor Johann Sebastian Bach neue Klangwelten vor – im übergeordneten Sinn – durchaus klassischen Formen erschließt. Einer auf starke Kontraste hin angelegten Introduktion, in der die Tonfolge B-A-C-H durchgängig präsent ist, folgen 17 zielstrebig sich rhythmisch wie dynamisch steigernde Variationen über ein achttaktiges, logischer Weise mit der genannten Tonfolge beginnendes 3/4-Takt-Bassthema. Dass dieses Thema zunächst nicht solistisch erklingt, sondern zweimal zunächst als Fundament eines Achtton-Clusters im Pianissimo dient, ist als Einmaligkeit in der Passacaglien-Literatur durchaus in der besonderen Plastizität der besagten vier Reverenztöne begründet. Dem motivisch auf die Introduktion zurückgreifenden Höhepunkt in Variation 17 folgt ein gleichsam meditatives, äußerst zurückgenommenes Finale über dem schlichten Fundament der vier Töne des berühmten Namens.
Das Konzert schließt mit hochkarätiger Romantik, unterschiedlich hinsichtlich Dimension, formaler Gestaltung und harmonikaler Ausdrucksstärke. Zunächst hören wir mit ROBERT SCHUMANNs schlicht-genialer B-A-C-H-Fuge eine Miniatur meditativen Charakters ganz aus dem Geiste Bachs heraus.
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Aus dem „Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach“
Menuett G-Dur BWV Anh. 114
Menuett g-Moll BWV Anh. 115
Menuett G-Dur BWV Anh. 116
Sarabande d-Moll BWV 812
Musette D-Dur BWV Anh. 126
Polonaise g-Moll BWV Anh. 125
March D-Dur BWV Anh. 122 (C. Ph. E. Bach?)
Toccata und Fuge d-Moll BWV 565,
für Klavier eingerichtet von Joachim Dorfmüller
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JOHANN SEBASTIAN BACH Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen BWV 87
Bekennen will ich seinen Namen BWV 200
Heike Bader, Alt
Lothar Blum, Tenor
Maximilian Schmitt, Bariton
Mitglieder des Bergischen Kammerorchesters
Leitung und Orgel: Matthias Lotzmann
JOHANN SEBASTIAN BACH Von Gott will ich nicht lassen BWV 657
DIETRICH BUXTEHUDE Te Deum Laudamus BuXWV 218
Ich dank dir schon durch deinen Sohn BuxWV 195
JOHANN SEBASTIAN BACH Passio secundum joannem Johannespassion in der Fassung II (1725)