Grußwort Matthias Lotzmann

Initiator und Künstlerischer Leiter der Barmer Bach-Tage

Sehr geehrte Damen und Herren, 

 

Mit der Überschrift der Kantate 249a von Johann Sebastian Bach grüße ich Sie herzlich: „Entfliehet, verschwindet, entweichet, ihr Sorgen“. Dieser Kantatentitel berührt zugleich das Motto der diesjährigen BARMER BACH-TAGE 2023. 

 

Als das Motto feststand, war die bevorstehende Verfinsterung durch Krieg und der Zwang zur Neuformulierung der Lage in Europa noch nicht erkennbar. Seither überschlagen sich die Ereignisse, wacht ein ganzer Kontinent aus dem Traum einer trügerischen Sicherheit und Scheinwahrheiten auf. Der Glaube an das Bild von etwas, gepaart mit dem Unvermögen, die Dinge beim Namen zu nennen und Partikularinteressen zurückzustellen, haben gravierende Folgen für alle. Die Zivilgesellschaften sind seither einem Stresstest nach dem anderen ausgesetzt, zum Teil als Kriegsmittel mit dem Ziel der Zersetzung, aggressiv inszeniert. Menschen werden zynisch zur Jongliermasse. Das Sterben Tausender scheint eingepreist zu sein. 

 

Wie fern und fremd erscheint uns dies? Wie sehr bedrängt es unsere Ansichten über Gut und Böse, wie sehr gerät auch das kulturelle Profil, für das wir stehen, unter Druck.  Das nun oft zu hörende „Nichts ist mehr wie es war!“ hat Folgen; auch für die Durchführbarkeit eines solch überschaubaren Projektes wie das der BARMER BACH-TAGE. Und so freue ich mich trotz des Ausbleibens erhoffter Unterstützung, Ihnen in diesem Frühjahr ein weiteres Mal die BARMER BACH-TAGE präsentieren zu dürfen.           

                                                                                                                                      

Im Mai 1747 machte sich Johann Sebastian Bach auf Einladung Friedrich II. nach Berlin und Potsdam auf. Es sollte seine letzte größere Reise sein. Die neuesten musikalischen Errungenschaften des Königs sollte er inspizieren und viele neue Instrumente bespielen. Ein „königliches Thema“ gab es obendrein, anhand dessen sich der „Alte Bach“ in seiner Kunst unter Beweis stellen mochte. Es hat den Anschein, als wollte sich der noch einmal neu ausrichten und seine Fühler nach Preußen ausstrecken. Weg aus dem ungeliebten Leipzig? 

In jener Zeit, geprägt durch die Schlesischen Kriege, die Preußen ohne Not vom Zaun gebrochen hatte, und der brüchigen Friedensschlüsse am Vorabend des Siebenjährigen Krieges, verwirklicht der preußische König eine utopistische Idee in Form eines gestalteten Ortes und nennt ihn Sanssouci – Ohne Sorgen. Am 1. Mai 1747 findet die Einweihung des heute berühmten Weinbergschlosses statt. In eben jenen Tagen trifft Bach auf den kriegerischen König. Er, der Alte, der sich daran macht, sein kompositorisches Werk zu ordnen, trifft auf den, der sich Ruhm erst erwerben will. Die Utopie des Gedankens Sanssouci findet in Bachs Verneigung vor dem Monarchen eine Beantwortung; inhaltlich bewertet ist es eher eine Entgegnung – gemeint ist das Musikalische Opfer als das Ergebnis dieser Reise. In diesem Mai 1747 prallen zwei Welten aufeinander: die der okkupatorischen Staatserweiterung durch den König und die der vollkommenen Durchdringung der musikalischen Gesetze durch den Thomaskantor. Bachs Werk sollte überdauern. Eines der Konzerte, das „Kleine Concert“, ist insbesondere dieser Begegnung gewidmet. Es erklingen hier Werke des komponierenden Königs und des königlichen Komponisten.

 

Ganz im Mittelpunkt der diesjährigen BARMER BACH-TAGE aber steht die Aufführung der Johannespassion in ihrer Fassung von 1725. Bach strukturierte das Werk ein Jahr nach der Erstaufführung in der St. Thomae mittels Veränderungen so um, dass nicht mehr die Verherrlichung des Gottessohnes („Herr, unser Herrscher …“), sondern das menschliche Versagen und die dramatischen Ereignisse („O Mensch, bewein dein‘ Sünde groß“) im Zen-trum stehen. Auch für den Bachkenner ist die Zweitfassung eine interessante Höralternative. Die Aufführung des Werkes wird von zwei erhellenden Einführungsvorträgen eingerahmt und von zwei schulpädagogischen Projekten im Musik- und Religionsunterricht begleitet werden. Welchen Zugang haben junge Menschen heute zu diesem Werk? Wie können Heranwachsende Wege zu Johann Sebastian Bach finden?                 

Junge Menschen mit der Musik Bachs in Berührung zu bringen, sie zu begeistern und sie zur Ausübung seiner Musik zu bewegen, ist das Ziel auch des Orgelwettbewerbes innerhalb der BARMER BACH-TAGE 2023, der in der Zeit 17. bis zum 19. November 2023 in Wuppertal stattfinden wird. Dabei soll allen, die das Musizieren an der Orgel zu ihrem Beruf machen wollen, die Gelegenheit gegeben werden, sich auf Bach und seine Musik zu konzentrieren. Nicht der fertige, sondern der werdende Künstler im Schüler- bis zum Jungstudenten-alter möge sich hier angesprochen fühlen. Das öffentliche Preisträgerkonzert findet am 19. November 2023 in der Klosterkirche Beyenburg statt.

 

Ein weiterer Schwerpunkt in diesem Jahr ist das Werden der Künstlergestalt Johann Sebastian Bach selbst. Es steht außer Frage, dass es Dietrich Buxtehude in Lübeck ist, der für ihn besonders wegweisend war. Dabei ist Buxtehude viel mehr als ein Wegbereiter und Vorläufer Bachs zu nennen, wie es einst gesehen wurde. Die Gesamtaufführung des Orgelwerkes Buxtehudes will erhellen, wie autonom und originär dieser skandinavische Komponist erstrahlt. In mehr als dreißig Konzerten (mit Orgel- und Cembalowerken, Kantaten und Oratorien) des BUXTEHUDE-PROJEKTES WUPPERTAL haben Sie, verehrte Damen und Herren, durch die BARMER BACH-TAGE die Gelegenheit, in den klingenden Kosmos der Musik des 17. Jahrhunderts einzutauchen.

 

Ich wünsche Ihnen allen in der Vielgestaltigkeit der BARMER BACH-TAGE 2023 Genuss, tiefgründige Erkenntnisse und neue Ansichten zur Musik Johann Sebastian Bachs und seines Umfeldes. 

 

Herzlich

 

Ihr Matthias Lotzmann

Sehr geehrte Damen und Herren, 

 

Mit der Überschrift der Kantate 249a von Johann Sebastian Bach grüße ich Sie herzlich: „Entfliehet, verschwindet, entweichet, ihr Sorgen“. Dieser Kantatentitel berührt zugleich das Motto der diesjährigen BARMER BACH-TAGE 2023. 

 

Als das Motto feststand, war die bevorstehende Verfinsterung durch Krieg und der Zwang zur Neuformulierung der Lage in Europa noch nicht erkennbar. Seither überschlagen sich die Ereignisse, wacht ein ganzer Kontinent aus dem Traum einer trügerischen Sicherheit und Scheinwahrheiten auf. Der Glaube an das Bild von etwas, gepaart mit dem Unvermögen, die Dinge beim Namen zu nennen und Partikularinteressen zurückzustellen, haben gravierende Folgen für alle. Die Zivilgesellschaften sind seither einem Stresstest nach dem anderen ausgesetzt, zum Teil als Kriegsmittel mit dem Ziel der Zersetzung, aggressiv inszeniert. Menschen werden zynisch zur Jongliermasse. Das Sterben Tausender scheint eingepreist zu sein. 

 

Wie fern und fremd erscheint uns dies? Wie sehr bedrängt es unsere Ansichten über Gut und Böse, wie sehr gerät auch das kulturelle Profil, für das wir stehen, unter Druck.  Das nun oft zu hörende „Nichts ist mehr wie es war!“ hat Folgen; auch für die Durchführbarkeit eines solch überschaubaren Projektes wie das der BARMER BACH-TAGE. Und so freue ich mich trotz des Ausbleibens erhoffter Unterstützung, Ihnen in diesem Frühjahr ein weiteres Mal die BARMER BACH-TAGE präsentieren zu dürfen.           

                                                                                                                                      

Im Mai 1747 machte sich Johann Sebastian Bach auf Einladung Friedrich II. nach Berlin und Potsdam auf. Es sollte seine letzte größere Reise sein. Die neuesten musikalischen Errungenschaften des Königs sollte er inspizieren und viele neue Instrumente bespielen. Ein „königliches Thema“ gab es obendrein, anhand dessen sich der „Alte Bach“ in seiner Kunst unter Beweis stellen mochte. Es hat den Anschein, als wollte sich der noch einmal neu ausrichten und seine Fühler nach Preußen ausstrecken. Weg aus dem ungeliebten Leipzig? 

In jener Zeit, geprägt durch die Schlesischen Kriege, die Preußen ohne Not vom Zaun gebrochen hatte, und der brüchigen Friedensschlüsse am Vorabend des Siebenjährigen Krieges, verwirklicht der preußische König eine utopistische Idee in Form eines gestalteten Ortes und nennt ihn Sanssouci – Ohne Sorgen. Am 1. Mai 1747 findet die Einweihung des heute berühmten Weinbergschlosses statt. In eben jenen Tagen trifft Bach auf den kriegerischen König. Er, der Alte, der sich daran macht, sein kompositorisches Werk zu ordnen, trifft auf den, der sich Ruhm erst erwerben will. Die Utopie des Gedankens Sanssouci findet in Bachs Verneigung vor dem Monarchen eine Beantwortung; inhaltlich bewertet ist es eher eine Entgegnung – gemeint ist das Musikalische Opfer als das Ergebnis dieser Reise. In diesem Mai 1747 prallen zwei Welten aufeinander: die der okkupatorischen Staatserweiterung durch den König und die der vollkommenen Durchdringung der musikalischen Gesetze durch den Thomaskantor. Bachs Werk sollte überdauern. Eines der Konzerte, das „Kleine Concert“, ist insbesondere dieser Begegnung gewidmet. Es erklingen hier Werke des komponierenden Königs und des königlichen Komponisten.

 

Ganz im Mittelpunkt der diesjährigen BARMER BACH-TAGE aber steht die Aufführung der Johannespassion in ihrer Fassung von 1725. Bach strukturierte das Werk ein Jahr nach der Erstaufführung in der St. Thomae mittels Veränderungen so um, dass nicht mehr die Verherrlichung des Gottessohnes („Herr, unser Herrscher …“), sondern das menschliche Versagen und die dramatischen Ereignisse („O Mensch, bewein dein‘ Sünde groß“) im Zen-trum stehen. Auch für den Bachkenner ist die Zweitfassung eine interessante Höralternative. Die Aufführung des Werkes wird von zwei erhellenden Einführungsvorträgen eingerahmt und von zwei schulpädagogischen Projekten im Musik- und Religionsunterricht begleitet werden. Welchen Zugang haben junge Menschen heute zu diesem Werk? Wie können Heranwachsende Wege zu Johann Sebastian Bach finden?                 

Junge Menschen mit der Musik Bachs in Berührung zu bringen, sie zu begeistern und sie zur Ausübung seiner Musik zu bewegen, ist das Ziel auch des Orgelwettbewerbes innerhalb der BARMER BACH-TAGE 2023, der in der Zeit 17. bis zum 19. November 2023 in Wuppertal stattfinden wird. Dabei soll allen, die das Musizieren an der Orgel zu ihrem Beruf machen wollen, die Gelegenheit gegeben werden, sich auf Bach und seine Musik zu konzentrieren. Nicht der fertige, sondern der werdende Künstler im Schüler- bis zum Jungstudenten-alter möge sich hier angesprochen fühlen. Das öffentliche Preisträgerkonzert findet am 19. November 2023 in der Klosterkirche Beyenburg statt.

 

Ein weiterer Schwerpunkt in diesem Jahr ist das Werden der Künstlergestalt Johann Sebastian Bach selbst. Es steht außer Frage, dass es Dietrich Buxtehude in Lübeck ist, der für ihn besonders wegweisend war. Dabei ist Buxtehude viel mehr als ein Wegbereiter und Vorläufer Bachs zu nennen, wie es einst gesehen wurde. Die Gesamtaufführung des Orgelwerkes Buxtehudes will erhellen, wie autonom und originär dieser skandinavische Komponist erstrahlt. In mehr als dreißig Konzerten (mit Orgel- und Cembalowerken, Kantaten und Oratorien) des BUXTEHUDE-PROJEKTES WUPPERTAL haben Sie, verehrte Damen und Herren, durch die BARMER BACH-TAGE die Gelegenheit, in den klingenden Kosmos der Musik des 17. Jahrhunderts einzutauchen.

 

Ich wünsche Ihnen allen in der Vielgestaltigkeit der BARMER BACH-TAGE 2023 Genuss, tiefgründige Erkenntnisse und neue Ansichten zur Musik Johann Sebastian Bachs und seines Umfeldes. 

 

Herzlich

Ihr Matthias Lotzmann